Lebensbedingungen im Camp

Für 3.000 Menschen maximal war das Camp bei Idomeni ausgelegt. Aktuell sind es 12.000 – 15.000 Menschen. Die Geflüchteten leben in dem mittlerweile wilden Camp in einer permanenten humanitären Notsituation, deren Ende nicht absehbar ist.

Schon auf der Fahrt nach Idomeni fallen die Menschen auf, die mit vielem Gepäck zu Fuß am Straßenrand entlanglaufen. Ihr Ziel ist das Camp für Geflüchtete nahe dem 300 Einwohner*innen zählendem Ort Idomeni. Polizei patroulliert in der Umgebung und steht an den Zufahrtsstraßen zum Dorf. Fahrzeuge von internationalen Hilfsorganisationen und Presseagenturen fahren vorbei. Vom Camp her drängt der Lärm von 12.000 Menschen – eine permanente Schalkulisse aus Hunderten Gesprächen, Rufen und Kindergeschrei. Der von Feuerstellen aufsteigende Rauch hängt über dem Gelände. Die einzige Straße ist links und rechts von den Autos der Freiwilligen und Journalist*innen gefährlich eng zugeparkt. Mitten auf dem Gelände verläuft ein Bahngleis, an dem ebenfalls Menschen ihre Zelte aufgeschlagen haben. Ab und an fahren hier Züge entlang.

Ursprünglich sollten hier in einem halben Dutzend Großhallenzelten der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ maximal 3.000 Menschen leben. Weil aber Mazedonien täglich nur wenige Dutzend Menschen hineinlässt und den ganzen Tag über neue Geflüchtete hinzukommen, sammeln sich vor dem Grenztor immer mehr Wartende. Sie schlafen in privat gespendeten Campingzelten auf den umliegenden Äckern in selbst gebauten Hütten, oder einfach im Freien.

„Es ist verdammt anstrengend“

Zentrales Thema ist natürlich, wann die Grenze wieder aufgeht. Die Familien sind nach Nummern eingeteilt und werden nach oben hin abgearbeitet. Wer eine niedrige Nummer hat, wartet in Grenznähe, wer eine höhere hat, schlägt weiter entfernt sein Zelt auf. Viele Menschen warten schon seit Wochen darauf, endlich weiterzukommen. So wie  Ahmed, ein Küchenchef aus dem Irak. Er musste seine Frau und seine Tochter zurücklassen, konnte nur seinen Sohn mit auf die Flucht nehmen. „Es ist verdammt anstrengend hier zu warten und nichts zu tun zu haben.“, sagt er. Es gibt für die Kinder keine Schule, ab und an wenigstens Spielstunden. Für die Erwachsenen gibt es keine Beschäftigungsangebote. Ein Barbier bietet seine Dienste an und Geflüchtete bauen gelegentlich kleine Handelsplätze auf. Ein Hauch von Normalität. Zusätzliche Probleme bereitet die Ungleichbehandlung der Menschen. Obwohl alle vor Krieg und Elend fliehen, werden Syrer an den Grenzen bevorzugt behandelt. Mazedonien sucht bei den Passkontrollen immer wieder nach fingierten Gründen die Menschen nicht hineinzulassen – ein falsches Stempeldatum, ein nicht korrektes Passbild. „Sie behandeln uns nicht fair“, meint Ahmed.

Wartende Menschen am Grenzübergang

Bei Regen heisst es Land unter

Wenn es regnet, steht das halbe Camp bei Idomeni unter Wasser. Viele Zelte sind komplett nass, das Wasser drückt von unten durch den Stoff. Besonders für die Kinder ist das eine gefährliche Situation, da sie unter diesen Bedingungen leicht krank werden. In fast jedem Zelt ist mindestens ein Kind, teilweise drängen sich vier Kinder mit ihren Eltern in den kleinen Behausungen. Einer von ihnen ist Ahmed, der mit anderen Vätern auf der Straße steht und sich über die Lage beschwert. So wie viele anderen auch hat er mehrere Kinder in seinem Zelt. „Meine Kinder sind alle krank, sie haben alle Husten“, erzählt er. Seit einem Monat ist er mit seiner Familie von Syrien unterwegs und seit einer Woche in Idomeni. Er findet die Situation unerträglich, möchte so schnell wie möglich weg und wünscht sich, dass über die Misstände berichtet wird. So wie Ahmed geht es Tausenden Menschen hier. Beim Gang durch das Camp hört man ein regelrechtes Hustkonzert, viele Menschen sind krank. Überall sind nach dem Regen Pfützen und da es für so viele Menschen keine funktionierende Müllabfuhr gibt, liegt überall Abfall herum.

Mohammed mit seiner Familie in dem fast komplett vom Wasser eingeschlossenem Zelt
Ahmed mit seiner Familie in einem durchnässten und fast komplett vom Wasser eingeschlossenem Zelt

Prekäre Versorgung

Die griechische Regierung sorgt für Dixitoiletten und deren Säuberung – für mehr nicht. Die Organisation Ärtze ohne Grenzen kümmert sich in ihrem Auftrag um das grundsätzliche Management des Camps, besitzt aber selbst kaum die Mittel für soviele Menschen. Daher sind die Geflüchteten dringend auf die Unterstützung durch Privatpersonen und -gruppen angewiesen. Am Abend fährt ein Rettungswagen eines Teams aus Schweden vor und bietet gratis Untersuchungen an. Der reguläre Ärzte-Container ist heillos überfordert. Tagsüber kommen immer wieder Autos vorbei und bringen Spenden. Findet kein Crowd-Management statt, werden sie regelrecht überrannt. Die unterversorgten Menschen reissen ihnen alles aus den Händen und streiten sich um Essen, Kleidung, sogar um Klopapier.

Es gibt weder vom griechischen Staat, noch von einer der großen Hilfsorganisationen eine warme Mahlzeit. Ärzte ohne Grenzen teilen nur Baguette aus. Die einzigen, die kostenlos eine warme Mahlzeit und Tee anbieten, sind unabhängige Freiwillige, die allermeisten mit einem linken, anarchistischen Hintergrund. Die Gruppe Human Aid Delievery Mission kocht in einem extra angemieteten Haus in einem Nachbardorf Tag fuhr Tag Verpflegung für 8.000(!) Menschen!

Blick auf die Essensausgabe im Camp
Blick auf die Essensausgabe im Camp

Kriminalität

Tausende Menschen unterversorgt und Ungewissheit über ihre Zukunftsperspektiven. Es kommt leider ab und zu wegen Kleinigkeiten zu Streitereien und auch zu Handgreiflichkeiten. Das eine Mal, weil sich jemand in einer Schlange vordrängelt, das andere Mal, weil es persönlichen Streit gibt. Glücklicherweise sind meist sehr schnell Umstehende zur Stelle und trennen die, zumeist männlichen, Kontrahenten. Im Vergleich zum Gewaltpotential von so mancher Großveranstaltung erscheint es schon fast wie ein Wunder, dass es so selten zu Auseinandersetzungen kommt. Die griechische Polizei hält sich betont zurück und greift nur in den äußersten Notfällen ein. Es gibt immer wieder auch Freiwillige, die im Camp übernachten. Einer hat zwei Monate dort mit einem Geflüchteten zusammen gelebt. Den Vorurteilen von AfD, NPD und Co. zum Trotz ist bisher noch über keine einzige Vergewaltigung oder sonstige Kriminalität berichtet worden. Auch von Diebstählen kann nichts berichtet werden, obwohl dort tagtäglich Journalist*innen und Freiwillige mit beispielsweise sehr teurer Technik herumlaufen.

Feuer schüren – Kinderalltag in Idomeni

Militärcamp statt Selbstbestimmung

Die griechische Regierung möchte das wilde Camp gern evakuieren und die Menschen in neu eröffnete Militärcamps in der Umgebung stecken. Diese gleichen aber eher Gefängnissen. Weder Journalist*innen, noch unabhängige Volunteers hätten Zugang zu dem Gelände. Außerdem soll die Verpflegung dort mangelhaft und noch schlechter sein als in dem Idomeni-Camp.  Es kann keine Alternative zu einer selbstbestimmten Organisierung sein, flüchtende Menschen hinter Stacheldraht zu stecken. Es wäre nachhaltiger die Menschen zu unterstützen und zu empowern und eigene Strukturen entstehen zu lassen. Von der Möglichkeit abgesehen, sie einfach weiterziehen und in Europa ankommen zu lassen.

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Blick auf das Militärgelände bei Nea Kavala, das als Refugeeunterkunft genutzt wird

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